
Boah, so viele schöne Tage hintereinander! Die Sonne scheint, es riecht nach Frühling! Beschwingt griff ich frühmorgens zum Besen, um den Balkon aufzuräumen. Zuerst aber musste ich die Weihnachtsbeleuchtung vom Geländer wickeln. Die Balkonpflanzen gegen Frost einzupacken hatte ich versäumt und der tragbare Kugelgrill hatte es auch nicht in den Keller geschafft. Item. Ich schaute, ob noch etwas anderes überlebt hatte als ein paar Käfer, schnitt zurück, riss aus, entsorgte und wischte. Tattaaa! Her mit den Narzissen, oh kommet, meine Veilchen!
Februar ist zwar etwas früh, aber die Indizien sind eindeutig: Der Strauch im Kirchengarten trägt zarte gelbe Blüten, die Linde deutliche Anzeichen von Knospen und Xavier, Le Fleuriste meines Vertrauens, hat blaue Hyazinthen draussen stehen. Zum Glück war das Auto meines Bruders nicht verfügbar, das ersparte mir einen ruinösen Ausflug ins Gartencenter Hauenstein in Zürich-Schwamendingen. Ich kenn mich: Oh, so ein schöner Terracotta-Topf! Schau, ein Feigenbäumchen! Mein Balkon ist einen Meter breit und etwa zwei Meter lang. Höchstens. Vergiss Terracotta, nix mit Bäumchen. Es steht schon genug Zeugs da.
Also stand. Jetzt hat’s ja Platz für Neues. Dass es ausser den Hyazinthen chez Xavier und ein paar Primeln im Jumbo noch gar nichts zu kaufen gibt, ficht mich nur am Rande an. Hauptsache, ich bin parat. Sonst geht’s mir wieder wie an Weihnachten. Ich überlegte wochenlang, ob Baum oder nicht Baum. Im Jahr davor hatte ich einen gekauft, zum ersten Mal seit Jahren wieder. Plus das ganze Zeugs zum Schmücken. In meinem Fall: Tonnenweise Schokolade, Lametta, Kerzen und ein paar Kugeln. Und dann noch mehr Kugeln. Und Ersatzkerzen. Schliesslich das Bäumchen. Aus Umweltgründen eines im Topf. Mit über 70 Franken sauteuer, aber wiederverwertbar im Jahr darauf. Dachte ich.
Im Januar stellte ich das Bäumchen auf den Balkon, dann in den Hinterhof und goss es fleissig. Im April zeigte es deutlich braune Stellen. Im Mai setzte ich es im Waidberg an einem schönen, lichten Plätzchen im Wald aus. Mit der Absicht, es im Dezember wieder abzuholen. Bisschen frische Luft und Auslauf würde ihm guttun. Als ich zwei Wochen später nachschaute, hatte Grün Zürich mein Bäumchen entsorgt.
Also ein Schnittbaum. Mein Bruder warnte mich wenige Tage vor dem Fest. Er habe grad im Jumbo noch den letzten Baum erstanden. Am Morgen des 24. Dezember zog ich los – und mit mir ein Tross Verzweifelter. Väter mit heulenden Kindern, händeringende Mütter und junge Männer, die befürchten mussten, den nächsten Valentinstag allein zu verbringen, wenn sie nicht wenigstens ein paar Tannenzweige heimbrächten.
Wir teilten uns in kleine Spähtrupps auf. Ausgerüstet mit Walkie-Talkies, Nachtsichtgeräten und Laserschwertern durchkämmten wir die Kreise 4, 5, plus Wipkingen. «Engelshaar an Wunderkerze, Engelshaar an Wunderkerze. Beim Viadukt steht nur noch das Verpackungsrohr. Sogar die Netzschläuche sind ausverkauft. Roger. Over». – «Verstanden, Engelshaar. Wir verschieben uns in Richtung Helvetiaplatz. Wunderkerze Over.» Kurz: Keine Chance.
Hätte einer klandestin von einem Lastwagen herunter Christbäume verkauft, er hätte sich eine goldene Nase verdient. Bruder und Schwägerin boten mir ihren Baum als Occasion an. Die Familienfeier hatte ausnahmsweise schon am 23. stattgefunden, den 24. verbrachten sie bei der Verwandtschaft im Aargau und am 25. reisten sie ins Wallis ab. Wir überlegten, wie wir den geschmückten Baum samt Ständer, Kugeln und Spitz unbeschadet die 500 Meter von ihrer Stube in meine Stube tragen könnten, gaben aber auf, weil ich dringend nach Hause musste um für meine Gäste zu kochen.
Wir feierten bestens ohne Baum. Warum ich am nächsten Morgen trotzdem mit Lametta im Haar aufwachte, ist eine andere Geschichte.
Video zum Text: The Orb – Little Fluffy Clouds (Original Mix) (1990)
Köstlich! Wie war das doch gleich? „Früher war mehr Lametta“. Ich finde, dem muss man entschieden dagegen halten. Zumindest zeitweise… Viel Spass im Gartencenter – da gibts ja neuerdings auch Weihnachtsschmuck zu kaufen.