
Letzte Woche habe ich mich mit dem Blog-Text «Ich bin auch eine Kantine» im Tages-Anzeiger etwas in die Nesseln gesetzt. Jedenfalls gaben mir einige Online-Kommentatoren auf die Mütze. Ich hatte mich darüber beschwert, dass die Jugend am Mittag ihre doofen Spaghetti Bolognese im Tram isst. Mir wurde vorgeworfen, ich sei undifferenziert und eine griesgrämige alte Schachtel. Undifferenziert okay, aber wegen der alten Schachtel, war ich doch etwas pikiert. Griesgrämige Schachtel passt. Alt nicht. Noch nicht. Wartet mal ab, bis ich 70 bin. Das mit dem griesgrämig wird nicht besser, das kann ich jetzt schon versprechen.
Wie man aber darauf kommt, jemand habe eine Essstörung, weil sie diese Fresserei im Tram nicht mag, erschliesst sich mir nicht ganz. Wenn es dann noch eine Frau schreibt, die laut eigenen Aussagen a) einhändig Velo fährt (ist verboten, im Fall! Und grobfahrlässig!) und Eiersandwiches auf die Windschutzscheibe falsch parkierter Auto wirft, halte ich diese Person schlicht für nicht geeignet, über mein Gemotze zu motzen.
Wobei ich das mit dem Eiersandwich werfen insofern verstehe, als ich manchmal auch Gewaltfantasien habe. Im Tram. Wenn die neben mir futtern. Dann möchte ich denen die Nase in ihr Essen tünkeln. Ganz fest. Gäbe aber eine Riesenschweinerei und würde –zurecht – strafrechtlich verfolgt. Das wäre mir dann doch etwas peinlich, so in Handschellen vor dem hohen Gericht. Womöglich noch eine Schlagzeile im Blick: «Radau-Grosi terrorisiert hungrige Schüler».
Wegen der ganzen Sache kam ich diese Woche in einen Gewissenskonflikt. Ich verspeiste gerade am Bellevue eines dieser leckeren Thonsandwiches, die sie im Rondell verkaufen, als mein Tram einfuhr. Und jetzt? Ich mochte nicht in der Kälte auf das nächste warten und es waren nur noch zwei Bissen übrig. Wieder in den Papiersack stecken konnte ich den Rest nicht, weil der Sack bereits mit Thon/Ei-Masse vollgekleckert war. Quillt ja immer so raus, an den Seiten, wenn man in ein Sandwich beisst.
Und ja, ich gebs zu. Ich bin eingestiegen. Und ja, ich habe im Tram fertig gegessen. Bange hoffend, es möge kein Tagi-Kommentator mit dem Finger auf mich zeigen und hysterisch durch den Wagen schreien: «Lueged! Tumme Latz und dänn sälber im Tram ässe!» Hätte nur noch gefehlt, dass genau in dem Moment auch noch mein Handy klingelt …
Video zum Text:https://www.youtube.com/watch?v=C0jb9zWd4n4