Du kennst diese Bilder: ein grauhaariges Pärchen fährt im Cabrio in den Sonnenuntergang. Oder prostet sich mit einem – guten – Glas Wein zu. Manchmal sitzen sie auf einem Bänkchen und schauen mit einem Lächeln, das wahrscheinlich Altersmilde darstellen soll, ins Nichts. Es ist irritierend, mit welchen Klischees wir mehr oder weniger kaufkräftigen ü50 angesprochen werden. Und es ist auch nicht gerade schmeichelhaft, dass wir offenbar bereits unter den Oberbegriff «Senioren» fallen.
Oder bist Du etwa schon pensioniert? Ich nicht. Schliesslich leben wir nicht in Italien oder Frankreich. Brauchst du Kukident? Ich schon. Als WC-Reiniger. Und ein Cabrio hatte ich mit Mitte Dreissig. Der Fahrtwind verursachte in meinem Haar gordische Knoten und wehte mein Cap der San Diego Padres – gekauft am einzigen Baseball-Spiel, das ich je besuchte – auf dem Damm zwischen Mestre und Venedig hinaus in die Lagune. Ein trister Moment.
Ausserdem deponierten die Leute immer irgend welches Zeugs im Wagen. Einmal, am Rotlicht bei der Helvti-Bar am Stauffacher wars, landete ein ganzer Fenchel auf dem Beifahrersitz. Ehrlich wahr. Ich war froh, war es keine Wassermelone.
Moi? Jamais!
In Inseraten, Bannern und TV-Spots gibt es genau zwei Sorten von Leuten über 50: früh vergreiste Tatteri, die seltsame Schuhe tragen oder schrille Vögel mit rosa Schmetterlingsbrillen und violetten Hunden.
Die Fünfzig plus die ich kenne, interessieren sich durchaus für Altersvorsorge, Hypotheken und Wanderferien auf La Gomera. Sie daten sich aber auch quer durch ü50-Single-Seiten, heiraten ihre langjährigen Lebenspartner oder gehen an Technopartys (https://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/bellevue/50-jahre-jung-und-noch-immer-im-club/story/28088522). Sie fahren Velo, Porsche und schieben Kinderwagen mit eigenem Nachwuchs oder ihren Enkeln. Und ja, sie können Computer und nein, Haftcreme für die Dritten ist nicht wirklich ein Burner-Thema, seit in den 1970ern flächendeckend Schulzahnkliniken eingeführt wurden.
Job der Werbung ist es, Illusionen zu verkaufen und nicht, die Realität abzubilden – oder eben das, was sie dafür hält.
Britischer Humor
Die gute Nachricht: Es gibt Hoffnung Auf dem englischen Sender ITV, dort, wo meine heiss geliebten Krimis kommen, sah ich einen interessanten Ansatz. Es ging um TV-Sessel mit eingebauter Hebefunktion, die das Aufstehen zu erleichtern. Das Design ist unzumutbar, mit Blümchen und so, aber die Leutchen in den TV-Spots machen erfrischende Aussagen. Zum Beispiel der graue Panter, der sich vorbeugt und ohne die Miene zu verziehen in die Kamera sagt: «Was ich mache? Golfferien buchen, das Erbe meiner Kinder verjubeln.» Oder jene Lady im Twin-Set, die emotionslos von ihrem Yogakurs berichtet: «Die Lehrerin sagte, wie sollen einfach alles rauslassen. Unglücklicherweise für Dorothy hinter mir habe ich das getan.»
Momentan bin ich noch recht flink und brauche keinen Fauteuil mit Hebelift. Bis es soweit ist, sollten die Herstellern die Zeit nutzen und am Design arbeiten. Mir schwebt etwas in schwarzem Leder mit Nieten vor, Spät-Punk, Früh-Grufti, sozusagen. Lackweiss mit violettem Plüsch à la «Barbarella» fände ich auch apart. So was in der Art halt.
Alt sind nur die anderen
Erschwerend in der ganzen Altersfrage kommt hinzu, dass nicht nur zwischen Fremdwahrnehmung und Realität eine Lücke klafft, sondern auch zwischen Realität und Selbstwahrnehmung. Sicher ist nur: Blümchen und Bänkchen kommen nicht in Frage.
Also, Anbieter altersgerechter Produkte, hört die Signale, erkennt die Zeichen der Zeit, und macht euch an die Arbeit – in spätestens zehn Jahren bin ich pensioniert, dann will ich Resultate sehen!
Hier ein bisschen Facts und Fiction über uns funky Fifty plus:
Partnerschaft

Vorstellung Werbung

Vorstellung wir

Realität
Schuhe

Bedarf

Angebot

Kompromiss-Kauf
Ferien

Sollen wir

Wollen wir

Bekommen wir
TV-Sessel

Vorstellung Verkäufer

Vorstellung Kunde

Steht dann im Wohnzimmer
Männer über 50

Werbung

Eigenwahrnehmung

Realität
Frauen über 50

Werbung

Eigenwahrnehmung

Realität
Ruthchen – das ist einfach grossartig was du da schreibst und hat einen hohen Wahrheitsgehalt, mach weiter so. Und sollte ich mal Wanderferien auf La Gomera buchen wollen, dann halte mich bitte zurück und fahre mit mir nach … – die Destination überlasse ich dir.
Bacioni Karin