Letzte Woche wurden die neusten WEMF-Zahlen veröffentlicht, die beglaubigten Auflagen der Schweizer Zeitungen und Zeitschriften. Wie erwartet verloren alle Printprodukte Leserinnen und Leser, die einen moderat, andere soffen richtig ab. Interessant fand ich die Erklärungen der grossen Verlagshäuser. Sinngemäss sagten sie, dem Print stürben eben die älteren Abonnenten weg und die Jungen läsen nur Online.
Print forever
Mit Verlaub, wir Baby-Boomer sind printaffin und Mitte Fünfzig, bleiben also die nächsten dreissig Jahre in stattlicher Zahl als Zeitungsleserinnen und -Leser erhalten. Selbst wenn man ein paar vorzeitig Heimberufene abzieht. Wir gelten als vital, unternehmungslustig und kaufkräftig, wären also für Anzeigenkunden interessant.
Für ein gutes Produkt zahlen wir auch. Die Knabbernüssli zum TV-Abend sind ja auch nicht gratis. Das leuchtet ein.
Bricht der Verkauf von Knabbernüssli ein, ist das gemäss Logik der Verlagsverantwortlichen mit veränderten Essgewohnheiten zu erklären. Man ist halt heute gesundheitsbewusst. Dass es etwas mit dem Produkt selbst zu tun haben könnte, steht nicht zur Diskussion.
Generation Popcorn
Dabei war es doch so: Eines Tages drängten quirlige Jungnüsse auf den Markt. Keine richtigen Nüsse, eher Popcorn mit Nussgeschmack. Aber lustig, locker und grausam hip. Sie waren an jeder Bushaltestelle praktisch gratis zu haben. Die Hersteller von Knabbernussmischungen reagierten panisch. Sie wollten auch jung und hip sein. Vor allem wollten sie den Anschluss nicht verpassen und die Zukunft der heimischen Nüsslibranche sichern. Sagten sie. Auf deutsch: Sie wollten auch eine goldene Nase verdienen.
Also begannen sie allenthalben an ihren Traditionsprodukten zu schrauben. Neue Käufer generierte das kaum, aber es vergraulte die Stammkundschaft. Die ersten Sparrunden wurden eingeläutet, es kam zu Massenentlassungen von Nüssen. Ein Massaker folgte dem nächsten. Die verbliebenen Nüsse mussten sich zweiteilen, um die Leere in den Mischungen zu kompensieren. Die arbeitslosen Nüsse verdingten sich derweil als Backmischungen, Bündner Nusstorten oder endeten als Paniermehl.
Wo sind die Pinienkerne?
Die Afficionados der TV-Knabbernussmischungen indes merkten sehr wohl, dass die Packung zwar immer noch gleich gross war, der Inhalt aber deutlich geschrumpft. Er schmeckte auch nicht mehr so richtig. Ein Labortest von «K-Tipp» und «A Bon Entendeur» ergab: Es waren kaum noch teure Pinienkerne enthalten. Zwar spülten die Produkte immer noch gutes Geld in die Verlagskassen. Aber mehr geht immer.
In den Führungsetagen sprach man nicht mehr von Inhalten, sondern höchstens von Content und der wurde nicht mehr liebevoll in Hand- und Kopfarbeit hergestellt sondern kam aus der Spraydose. Man redete auch nicht mehr über Leserbedürfnisse sondern über Big Data, Traffic und Klicks und entliess alle Baum- und Haselnüsse. Quantität statt Qualität, Schnelligkeit statt Sorgfalt.
Etliche treue Nussesser waren zwischenzeitlich ohnehin auf Pommes Chips umgestiegen. Um den Rest bei Laune zu halten, überzog man die Erdnüsse mit exotischen Gewürzen und ersetzte die Mandeln durch vegane Gewinnlose: 3-fach Chance in jeder Packung! Ruf an! Jetzt!
Elvis has left the Building
Am 17. August 1977 kaufte ich zum ersten Mal im Leben eine Zeitung. «ELVIS IST TOT!» stand fett auf dem Kiosk-Aushang am Bahnhof Winterthur. Wir waren grad auf Schulreise, ich war 15, zückte mein Sackgeld und kaufte den BLICK.
Mein erstes Zeitungs-Abo schloss ich mit dem Tages-Anzeiger ab. Da war ich Ende Zwanzig und hauptsächlich an den Party-Daten im Züri-Tipp interessiert.
Warum soll die heutige Jugend anders ein? Zeitung lesen ist eine Alterserscheinung. Und übrigens ein neuer Trend. Wegen Fake-News und Facebook-Skandal ist seriöser Print wieder im Kommen – behaupten Trendforscher und Kaffeesatzleser. Bloss, was finden willige Konsumenten? Einheitsbrei. Überall die ewig gleichen Erdnüsse, angereichert mit drei Cashews. Da lohnt sich der Kauf einer ganzen Packung nicht.
Facts
Die Konsumenten geben nach wie vor Geld für Nüsse aus. Sie kaufen ihre Lieblingsnüsse jetzt halt separat und mischen sie zu Hause in einer Schüssel selber. Oder sie bestellen online ihre individuelle Nussmischung. Und ja, das Konsumverhalten hat sich tatsächlich geändert. Aber das liegt nicht an den Nüssen. Es liegt an der Mischung.
Dieser Text ist allen meinen Berufskolleginnen und -kollegen gewidmet, den ehemaligen, den aktuellen und den zukünftigen.
Song zum Thema: