Es dürfte dir aufgefallen sein, dass ich Team Venedig bin und öfters dort. Und ich verrate dir jetzt ein paar richtig gute Sachen.
Drei Dinge gibt es im Überfluss: Kunst, Kanäle und Essen. Eher rar sind Good News. Darum fangen wir grad damit an an:
Venedig verbietet den Kreuzfahrtschiffen, am Markusplatz vorbei und durch den Giudecca-Kanal zu fahren. Aber: Sie müssen zuerst einen neuen Hafen für sie bauen, auf dem Festland in Mestre. Es kann also dauern.
Die Kunstbiennale 2017 verzeichnet einen neuen Besucherrekord: 500’000, meldet «Il Gazzettino» hoch entzückt.
Im November hat es nur wenige asiatische Reisegruppen, die die engen Gassen verstopfen. Das übernehmen italienische Schulklassen. Gänsemarsch auf italienisch heisst übrigens «Fila Indiana», Indianerreihe. Ist ab zwei Personen strikte einzuhalten.
Touristen gehen hoffnungslos verloren
Immer. Alle. Ich auch. Immerhin weiss ich mittlerweile in den meisten Fällen, in welchem Sestiere, welchem Quartier, ich mich befinde. Was auch nicht weiterhilft, wenn man die falsche Richtung für Norden hält (laut einer unbewiesenen Behauptung von Mister G. aus dem dritten Stock ein typisches Frauenproblem) und dann an den Fondamenta Nuove aus dem Häusermeer auftaucht. Dort hat es keine Vaporetti-Linien, die den Canal Grande bedienen, den einzigen Orientierungspunkt, weil man zwischen den Häusern schlicht nichts sieht ausser Mauern. Peinlich, aber unvermeidlich: Man (ich) muss wieder quer durchs Quartier in die andere Richtung marschieren – und unterwegs verloren gehen. Was hilft: die App «CityMaps2Go» im Offline-Modus. Gold wert!
Venedig macht sportlich, gute Schuhe sind überlebenswichtig. Wahrscheinlich darum sind die Alten dort, i Anziani, irgendwie alle fit. Die ziehen ihrer Lebtag lang Einkaufswagen hinter sich her, Trepp auf, Trepp ab. Quasi Rollatoren, einfach gezogen statt gestossen. An denen erkennt man übrigens die Einheimischen. Und es ist eine gute Idee, sich in ein Café oder vor eine Bar zu setzen, in der sich eine Horde Weisshaariger mit Poschtiwägli niedergelassen hat. Die Bar ist garantiert nicht in chinesischer Hand (Chinesen besitzen, so heisst es, schon fast die Hälfte der Stadt) sondern quasi Venetian-prooved, als für gut und günstig befunden. Egal ob für Käse, Blumen oder Handschuhe: folge einem weissen Haupt mit Einkaufswägeli, es garantiert gute Qualität zu einem anständigen Preis.
Fahr mit dem Vaporetto
Entschleunigung ist garantiert, weil die Langsamkeit dieses ÖV-Wasserbusses einem dazu zwingt. Sobald ich in einem sitze, verfalle ich in einen meditativen Zustand, eine Art Duldungsstarre. Nützt eh nix. Ist langsam, wegen dem Wellenschlag, der die Fundamente unterspült. Und vor dem Fenster rasen die Water-Taxis vorbei mit übersetzter Geschwindigkeit. Venezianische Logik.
Eher lassen solltest du eine Gondelfahrt auf dem Canal Grande. Viel zu gefährlich, sagt der venezianische Staatsanwalt Roberto Terzo und verlangt eine Reduktion des gesammten Schiffsverkehrs auf dem Canal Grande auf 25 Prozent. Nur mit drei Viertel weniger Booten sei die Sicherheit gewährleistet (Quelle: «Il Gazzettino» vom 22.11.17). Auch beim Bahnhof oder bei San Zaccharia unten am Markusplatz solltest du keine Gondel besteigen. Eigentlich wissen die Gondoliere, dass es zu gefährlich ist. Sie bieten es trotzdem an, denn es bringt Geld. Bedenke: Der Venezianer ist Kaufmann, das ist in seinen Genen, über Jahrhunderte gepflegt und weiterentwickelt.
Vor vier Jahren passierte ein tödlicher Unfall bei der Rialto-Brücke
Ein Deutscher Rechtsprofesssor in einer Gondel wurde von einem Vaporetto touchiert und starb, vor den Augen seiner Frau und den drei kleinen Kinder. Dem verursachenden Gondoliere wird gerade der Prozess gemacht, das Urteil wird für den 18. Dezember erwartet. Ein zweiter beteiligter Gondoliere sowie drei Vaporetto-Kapitäne sind bereits zu mehrmonatigen Gefängissstrafen verurteilt. Auf Bewährung. Italienische Medien nennen übrigens immer die vollen Namen aller Beteiligten.
Richtig abenteuerlich und trotzdem einigermassen save ist eine Überfahrt mit dem Traghetto. Für 2 Euro stehend in einer Gondel einmal quer über den Canal Grande. Zum Beispiel vom Fischmarkt beim Rialto hinüber nach Santa Sofia in Cannareggio. Mega!
Was du tun sollst: Nachts durch die leere Stadt spazieren
Oder ganz früh am Morgen. Kannst du alleine, passiert nix, ausser dass du in einer engen Gasse eine Nase voll Urin abbekommst, den ein besoffener Touri hinterlassen hat.
Während die Hauptachsen von morgens zehn Uhr bis abends um 17 Uhr (Winter) bzw. 20 Uhr (Sommer) über verstopft sind, sind die Parallelgassen meist leer. Angst, verloren zu gehen? Macht nichts, hast ja gute Schuhe an. ich habe einen rudimentären Stadtplan im Kopf und finde immer Orte, die ich zwei Jahre davor suchte. Hab aber keine Ahnung mehr, wie ich dahin gekommen bin. Ist halt so. Ist halt Venedig. Irgendwo hat es immer ein Schild, oft von den Anwohnern aus Papier oder gleich auf die Mauer gemalt, das nach San Marco weisst (unten) oder Piazzale Roma/Ferrovia (oben). Und dazwischen ist Rialto. Die Brücke.
Feinen Food gibts hier:
Für das Mittagessen folge ich unauffällig schmutzigen Männerhosen. Arbeiter wollen gut und günstig essen. Keine weissen Tischtücher, aber der Fisch ist frisch, sonst machen die Männerhosen einen Aufstand, die kennen sich aus, sind eh selber Hobby-Fischer und von Mamma oder der Gattin verwöhnt. Die Osteria «Ai Osti» ist so ein Ort. Leicht zu finden zwischen Lush-Seifen und McDonalds (immer der Nase nach) am Touristenpfad Strada Nova, am Ende des Plätzchens, etwas nach hinten versetzt. Das Lokal ist winzig. Spaghetti mit grillierten Gamberi, Wasser, ein Glas Weisswein und Kaffee kosten 15 Euro. Empfehlenswert ist die Platte mit gemischtem fittiertem Fisch, gibts aber erst ab zwei Personen.
Ein anderer Schlag ist «Do Spade» auf der anderen Kanalseite in San Polo. Keine Arbeiter, aber Individual-Touristen aus aller Welt, meist zu zweit. Und gleich beim Eingang ein riesiger Tisch mit Studenten. Personal: Venezianisch. Ihre Empfehlung: Hammelfleisch mit Kabis und weisser Polenta. Gibts nur einmal im Jahr zum Fest der Maria della Salute im November. Ich habs todesmutig probiert. Schmeckt okay, wie «pulled Pork», aber es geht auch ohne. Dazu hatte ich Wein, Wasser und Panna Cotta mit flüssiger Schokolade. Alles zusammen: 25 Euro. Im «Do Spade» kannst du entweder Cicchetti ordern, kleine, appetitliche Häppchen, die an der Bar ausgestellt sind, oder richtiges Pranzo (Mittagessen) oder Cena (Abendessen).
Typisch venezianisches Essen ist eher deftig. Gute Adresse: «Al Diavolo e aquasanta» (Teufel und Weihwasser) in der Calle della Madonna beim Rialto. Tagsüber ist das Lokal beliebter Treffpunkt für die Alkoholiker des Quartiers, also alle. Unprätentiös, nahrhaft und Preise sind okay.
Günstiger ist es in den Pizzerien und Trattorien an der Via Garibaldi, der schnurgeraden Hauptstrasse in Castello. Castello ist aber auch das Quartier, in dem ich mich am hoffnungslosesten verlaufe.
Die Speisekarte von «Il Pescatore» etwa listet Altbekanntes auf und ich war nicht begeistert. Also bestellte ich einen gemischten Salat und Scaloppine al Limone mit grilliertem Gemüse, ein Glas Weisswein und Wasser. Der Salat war, wie er seit den Siebziger Jahren in Italien ist: lausig. Aceto Balsamico stand nicht auf dem Tisch und ich war zu faul, um danach zu fragen. Die hauchdünnen Fleischscheiben (mag ich so) sahen gräulich aus, die Sauce grünlich. Lustlos biss ich rein und fiel fast vom Stuhl. Es schmeckte schlicht phänomenal!
Am Nebentisch sass eine Gruppe Senioren und lärmte für zehn. Sie waren zu vierzehnt. Lustigerweise sassen am einen Tischende die sieben Frauen und am anderen die sieben Männer. Ich kann mir grad vorstellen, wie sie reingekommen sind: «Avanti, noi ragazze ci mettiamo qui, i ragazzi la! Mädels hier, Jungs dort.» Sie assen tonnenweise Cozze, Miesmuscheln, und amüsierten sich prächtig.
Während ich auf Kaffee und Rechnung wartete (25 Euro), guckte ich aufs Handy. Das GPS behauptete, dass ich mich genau zwischen der Insel Giudecca und dem Festlandbrückenkopf Mestre befinde, und zwar mitten im Wasser. Ich sass zehn Kilometer weiter südlich im Trockenen neben den lärmigen Weisshaarigen. Aber es ist tröstlich, dass sich in Venedig offensichtlich sogar das GPS verirrt.
Dinge, die ich in Venedig unbedingt tun würde:
* Älteren Leuten, in Läden und Cafés folgen. Die wissen, wo es gut und günstig und vor allem venezianisch ist.
* Einen einwöchigen Kunstkurs des Istituto Venezia buchen. Kunsthistoriker Domenico Salamini erklärt Ausländern, die einigermassen Italienisch verstehen, Details von Kunstwerken in Kirchen und Museen vor Ort. Und das mit Leidenschaft und Engelsgeduld. Die Kurse sind von Montag bis Freitag täglich von 10 Uhr bis 14 Uhr.
* Wer nicht genug Italienisch versteht, bucht eine Woche Sprachkurs beim gleichen Institut. Gut geeignet für Alleinreisende, den das Institut organisiert auch geführte Spaziergänge und abendliche Unterhaltung.
* In die Schlange vor der Markuskirche stehen. Es geht zügig vorwärts und der Eintritt ist gratis. Guck auf den Boden. Grossartig!
* Am späten Nachmittag den Dogenpalast besuchen. Es hat deutlich weniger Leute und das splendide Innere ist allfällige Warterei tausendmal wert.
* Nachts alleine durch die Gassen spazieren. Unheimlich, aber gefahrlos.
* Vom Flughafen im Sommer mit dem öffentlichen Boot Alilaguna in die Stadt fahren, dauert eine Stunde, aber ist schön.
* Im Winter oder wenn es eilt: Den Flughafenbus von und nach Piazzale Roma. Kostet 7.50 Euro eine Fahrt, Dauer etwa 20 Minuten. Der bequemste Weg, kann man schon zu Hause online buchen.
* Zum Essen auf die Insel La Giudecca gehen. Ist viel günstiger und oft besser.
* Zum Sonnenuntergang auf den Kirchturm auf dem Inselchen San Giorgio steigen: Die gleiche Aussicht wie vom Turm auf dem Markusplatz, aber ohne Massenauflauf.
* Den Kellner/die Kellnerin bestimmen lassen, was man isst.
* Eine Ghost Walk Tour buchen. Immer Samstags.
* Konzerte in der Kirche San Vidal auf der San Marco Seite der Accademia-Brücke. Händel oder Vivaldi, kitschig, aber I like. Eintritt um 25 Euro.
* Einen Opernabend im La Fenice (der Phönix). Troppo bello! Im Voraus buchen, ist gern ausverkauft.
* Die Ausgehseite im «Il Gazzettino» (1,20 Euro) konsultieren. Eigentlich meistens nur eine halbe Seite und die Hälfte betrifft Veranstaltungen auf dem Festland. Aber warum nicht mal etwas untouristisches machen und an eine Vernissage gehen, eine Lesung (oft auf englisch) oder ein Konzert in einer Beiz? Beides in der Regel gratis, an Konzerten wird ein Hut rumgereicht.
* Im Sommer an den öffentlichen Strand auf dem Lido zum Baden gehen. Vaporetto Nr. 1 bis Lido, geradeaus die breite Strasse quer auf die andere Seite der Insel. Reinspringen.
Was ich in Venedig auf keinen Fall tun würde:
* Kitsch wie Masken und «echtes» Murano-Glas Made in China kaufen. Oft ist die Türe zum Geschäft offen. Bleib davor stehen und höre zu, was sie reden. Veneziano? (Das ist dann, wenn du zwar italienisch verstehst, aber nicht das hier). Rein und her damit.
* Mit Gondoliere um den Preis feilschen. Entweder sie gehen nicht darauf ein oder kürzen einfach die Route ab.
* An folgenden Orten eine Gondel besteigen: Am Bahnhof, am Canal Grande, bei San Zaccharia am Markusplatz. Das ist extrem gefährlich, es gibt immer wieder Unfälle.
* Ein Wassertaxi nehmen. Auf dem Canal Grande verkehren die – meist überfüllten, aber gut organisierten – Vaporetti der Linien eins und zwei zum Halunkenpreis von 7,50 Euro pro Fahrt.
* Eine Unterkunft auf la Giudecca buchen. Ist nur per Vaporetto erreichbar, die Fahrpläne sind zwar einigermassen zuverlässig und es gibt Nachtschiffe, aber man ist doch sehr angebunden. Oder man muss ein sauteures Wassertaxi nehmen. Ausnahme: Du logierst im Fünfsterne-Hotel Cipriani. Traumhafter Blick auf Venedig und wenn du dir das leisten kannst, liegt auch ein Wassertaxi locker drin.
Links:http://www.istitutovenezia.com/italian-languag-art-course.html
Song zum Thema (inklusive kleinem Sprachkurs): https://www.youtube.com/watch?v=vkL6bEpi9x0&list=RDvkL6bEpi9x0