Es war zu befürchten, dass es passiert. Und es ist bemerkenswert schnell eingetroffen: Die weltweite Weinstein-#MeToo-Sexismus-Welle schwappt zurück, der Backlash hat eingesetzt, die Kampagne nimmt groteske Formen an. Weltweit müssen sich bekannte und unbekannte Männer für unüberlegte Taten und Sprüche rechtfertigen, die Jahrzehnte zurück liegen. Schauspieler Dustin Hoffman etwa, der eine Assistentin um ein hartes Ei und eine weiche Klitoris bat. Eine dämliche Bemerkung, keine Frage. Immerhin war er mit der jungen Frau nicht allein und hat sich diese Woche glaubwürdig entschuldigt.
Ehrlich gesagt bin ich froh, reibt mir nur selten jemand einen der zahllosen hirnlosen Sprüche unter die Nase, die ich in den letzten 50 Jahren von mir gegeben habe. Ich bitte hiermit allenfalls Betroffenen um Entschuldigung und gelobe Besserung.
Die Stimmung kippt
Höhepunkt und mein persönlicher Kipp-Punkt sozusagen, war der Rücktritt des englischen Verteidigungsministers Michael Fallon. Er hatte vor 15 Jahren einer Journalistin die Hand aufs Knie gelegt. Blödmann, klar. Aber Grund für einen Rücktritt so viel später? Ich finde nein. Aufrichtige Reue und öffentlich Asche aufs Haupt streuen hätten es getan.
Wir – Frauen und Männer – können weiter Leichen ausbuddeln und der Öffentlichkeit unter die Nase halten. Nur finde ich das aus mehreren Gründen nicht sinnvoll. Erstens, es riecht komisch. Zweitens, es macht nichts ungeschehen und drittens, und das ist der eigentliche Punkt, es bagatellisiert die wirklich groben Sachen. Plötzlich steht Knie-Fummelei auf einer Stufe mit Vergewaltigung, verbaler Ausrutscher mit systematischem Machtmissbrauch.
Hör auf zu reden, fang an zu handeln
Es ist gut und richtig, dass Verbrecher auch Jahre später noch zur Verantwortung gezogen werden. Und Vergewaltigung ist ein Verbrechen, meiner Meinung nach sogar ein Kapitalverbrechen, das von hiesigen Gerichten zu oft viel zu nachsichtig geahndet wird.
Es ist gut und richtig, dass Missstände aufgedeckt und angeprangert werden. Frauen und Männer die das tun, brauchen ziemlich dicke Eier und haben meine ganze Hochachtung.
Es ist gut und richtig, dass eine Diskussion darüber stattfindet, was sich Männer gegenüber Frauen, Mächtige gegenüber Abhängigen erlauben dürfen und was nicht. Und dass ein paar selbstgefällige Alt-Macht-Macker einen Schuss vor den Bug bekommen.
Es ist aber auch Zeit aufzuhören, über vergossene Milch zu lamentieren. Sorgen wir lieber jetzt dafür, dass die Kraft dieser #MeToo-Welle nicht versandet und sich tatsächlich etwas verändert. Dazu brauchen wir Eier. Dicke Eier. Denn wir müssen uns wehren. Und zwar sofort, in dem Moment, wenn uns einer die Hand aufs Knie legt oder uns bedrängt. Ich weiss, das ist nicht einfach. Ich weiss aber auch, dass man es lernen kann, beziehungsweise üben.
Ja, du kannst
Ein anzüglicher Spruch? Lach nicht darüber. Lächle nicht mal. Setz ein Pokerface auf und schau dem Sprücheklopfer ausdruckslos in die Augen. Wetten, das nützt? Du fühlst dich bedrängt? Mach dich körperlich breit, stemm die Hände in die Taille, dreh dich um, starre den Typen wortlos an. Zurückweichen gilt nicht, stand your ground, sagen die Engländer treffend, verteidige deinen dir zustehenden Platz. Du wirst auf der Strasse verfolgt? Lauf ja nicht schneller. Im Gegenteil, verlangsame dein Tempo. Oder dreh dich aus dem Nichts um 180 Grad und lauf in der Gegenrichtung weiter, direkt auf den Verfolger zu und an ihm vorbei. Notfalls direkt auf den nächsten Polizeiposten.
Verteidiungsminister Michael Fallon entschuldigte sich. Das mit der Einsicht hingegen hat er nicht so ganz hinbekommen. Er berief sich darauf, dass früher eben ein anderes gesellschaftliches Klima geherrscht habe. Das ist so, das kann ich bestätigen, wir waren alle ein bisschen robuster. Noch in den 80ern galt es als durchaus angemessen, als Frau einem Flegel eine Ohrfeige zu verpassen. Geht heute nicht mehr ohne weiteres durch, birgt sogar das Risiko, dass der Kerl zurückschlägt. Aber dann ist es eh ein Fall für Polizei und Justiz.
Pfoten weg!
Was immer noch geht, ist ein kräftiger Schlag auf die Finger. Ich werde nie den Moment vergessen, als meine Mutter vor versammelter Verwandtschaft dem als Tööpli berüchtigten Onkel kräftig auf die Hand haute, weil er ihr an den Busen gefasst hatte. Es knallte saftig, die Verwandtschaft verstummte und Mutter stiess ein paar mir bis dato unbekannte deftige Flüche aus. Der Onkel grinste debil und hielt fortan mindestens eine Armlänge Abstand.
Die englische Journalistin mit dem Knie, Julia Hartley-Brewer, nannte Fallons Rücktritt «lächerlich» und bestätigte mit einem Tweet: «Meine Knie blieben intakt.» Sei tatsächlich die Knietätschelei der Grund für den Rücktritt, sagte Hartley-Brewer gegenüber «Sky News», wäre dies der «absurdeste Rücktritt eines Kabinettsmitgliedes aller Zeiten.»
Nachteile hatte sie aus der Geschichte keine. Sehr wohl Nachteile muss bis heute jedoch Samantha Geimer ertragen, das Vergewaltigungsopfer von Roman Polanski. Sie war 13-jährig, damals, 1977. Aber die Geschichte klebt bis heute an ihr wie Pech, weil sie am Köcheln gehalten wird. Wozu soll das gut sein, wenn darunter vor allem das Opfer leidet? Greimer verlangte wiederholt die Einstellung des Verfahrens gegen Polanski, findet aber beim zuständigen Richter kein Gehör. Das ist absurd. Das ist pervers. Im Namen der Gerechtigkeit wird das Opfer weiter gequält.
Opfer? Nein danke.
Wir quälen uns primär selber, wenn wir zu lange in der Vergangenheit wühlen. Scheisse passiert, und wird weiter passieren. Aber es lässt sich einiges verändern, wenn wir uns öfter und direkter wehren. Das hat Konsequenzen. Unangenehme Konsequenzen. Wir bekommen einen Job nicht, verlieren einen Auftrag, stehen dumm da, werden rausgeschmissen, ausgegrenzt, der Lächerlichkeit preisgegeben, müssen auf Vorteile, einzigartige Gelegenheiten, Privilegien verzichten.
Dieses Risiko einzugehen braucht Eier. Wir haben sie, zeigen wir sie auch. Das sollte es uns wert sein.
Und hier der Song zum Thema, weil’s so schön ist, gleich in zwei Versionen:
Liebe sista
Danke für deinen sehr differenzierten Kommentar – Ja, es ist immer wieder so … und ich kann mir vorstellen, dass dies für eine niveauvolle Person wie du eine zu sein scheinst fast unvorstellbar ist … Augen, Mund und Hände … das erlebt man(n) auch und das ist … sehr faszinierend .. 😀 .. aber die „andere“ Betrachtungsweise ist recht häufig …. und sich dabei zu wehren .. das ist verbal nicht einfach und kann sehr schnell gegenteilig ausgelegt werden! Wir Männer müssten wie du richtig sagst mutiger sein diesbezüglich – Danke!
Mit lieben Gruß Hans
Hi Sibylle
Ja, man empört sich so schnell. Hat wohl mit dem Frust zu tun, den wir alle tagtäglich erleben. Und wenn man schon mal ausrufen kann, tut man es. Stellvertretend für alles andeer. Aber du hast Recht, Toleranz gilt auf alle Seiten, auch oder gerade für jene, die nicht die gleiche Meinung vertreten, wie man selber.
Hallo Hans
Frauen starren dir auf den Hosenladen? Echt? So was hab ich noch nie gehört und selber in meinem Leben noch nie getan – es sei denn, der Hosenstall stand offen. Aber sonst gibts dort doch gar nichts zu sehen, oder? Ich wage die Behauptung, dass eine Frau, die Interesse hat, dir eher in die Augen, auf den Mund oder die Hände starren würde. Und ganz besonders auf die Schuhe. Gute, kräftige, ordentliche Schuhe = guter, kräftiger, ordentlicher Mann.
Oder geht es dir einfach darum, dass auch Männer Opfer sein können? Das können sie – und ja, wenn das passiert, sind sie um ein Vielfaches schlechter dran, da gebe ich dir recht. Für sie ist es noch viel schwieriger, darüber zu sprechen, wenn ihnen etwas widerfahren ist. Das braucht noch sehr viel mehr Mut. Sie sollten es trotzdem tun. Da gab es doch diesen Film, in dem ein Polizist von einer Gruppe Irrer in einem verlassenen Gebäude vergewaltigt wurde. Er erstattete Anzeige und sein eigener Vater sagte zu ihm: „Warum hast du sie das mit dir tun lassen?“ Der Film beruht auf wahren Tatsachen und ich hab ihn vor Jahren im TV gesehen. Wie du siehst, hat er mich nachhaltig erschüttert. Darum: Ja, Hans. Wehrt euch. Auch gegen aufdringliche Frauen.
… süffiger Schreibstil … und wahr, oft leider … nicht nur Knietätscheln an weiblichen Objekten – nein, auch permanentes Auf-den-männlichen -Hosenladen-Schauen von klappernden Frauenaugen – Kompliment ? Weiß nicht so recht .. kann sehr unangenehm sein … auch eine Art von sexueller Nötigung … aber wird nie benamst… nie … wehrloser Mann … Stopp diesem Unsinn …
Gut geschrieben und relativiert! Vor allem die „Robustheit der 80er“ finde ich treffend für eine gesunde Einschätzung von Taten. Was mich je länger je unruhiger macht, ist das Empörungspotential, was in den Menschen steckt und bei jeder Gelegenheit hervor geholt wird. Auch ich tendiere dazu und muss mich an der Nase nehmen.
Was nicht heisst, das Taten wie Vergewaltigungen nicht benannt und geahndet werden müssen. Aber bitte unter der Devise „Leben und Leben lassen“, d.h. den anderen zugestehen, was man sich selber zugesteht.