Paola Brunetti. Kennst du, oder? Die Frau von Commissario Guido Brunetti aus Venedig. Die essen ständig – und immer gut. Unglaublich, was die Frau tagtäglich auf den Tisch zaubert: Primo, Secondo und natürlich Dessert. Mittags UND abends. Für vier Personen.
Dabei ist Paola doch Dozentin an der Universität Ca‘ Foscari und liesst am liebsten ihre Literaturschinken, auf englisch natürlich. Wann, so frage ich, soll die Frau Zeit haben um zu Kochen? Haushalt hat sie ja auch noch, plus zwei für meinen Geschmack viel zu anständige Teenager. Nebst ihren sozialen Verpflichtungen sowie regelmässigen Besuchen bei ihren Eltern, dem Conte und der Contessa Falier. Es gab übrigens wirklich mal einen Dogen Falier, Marin Falier, der wurde 1618 geköpft weil er einen Staatsstreich angezettelt haben soll. Mit über 80. Wahrscheinlich war er schwerhörig und hatte etwas falsch verstanden.
Item. Ich war auch mal Hausfrau. In Rom. Ein ganzes Jahr lang. 1987. Es war ein Desaster. Ich brauchte für alles ewig, sah jeden Fleck und jedes Stäubchen, nahm mehrere Kilo zu weil täglich eine Packung Guetsli zu mir und verfiel in tiefste Depression.
Immerhin lernte ich italienisch und italienisch kochen. Seither bin ich kulinarisch verdorben und hege eine tiefe Verachtung für liebloses Essen. Ich bin quasi ein Gourmet – oder wie meine Mutter es schon in meinen Kindertagen unzimperlich auszudrücken pflegte: Gschnäderfräsig.
Die kocht doch vor!
Ich koche ganz passabel, mit Ausreissern nach oben und unten, manchmal ganz unten. Und ich habe eine Theorie: Brunetti-Autorin Donna Leon verschweigt uns einiges. Zum Beispiel, dass die Familie nur einmal täglich zusammen und ausgiebig isst und sich ansonsten, wie du und ich fliegend verpflegt, bzw. je nach dem, ob Mamma mittags oder abends kocht, das tut, was die Italiener «stuzzicare» nennen: Man stellt ad hoc etwas aus dem Kühlschrankinhalt zusammen. Bisschen Rohschinken, dazu eine Birne und als Hauptbestandteil Biscotti, also Crackers oder diese grausam feinen Sfoglie aus der Migros (nein, der orange Riesen sponsert mich nicht). Gibts auch mit Rosmarin.
Diese These ist plausibel, denn im Fernsehen sind alle vier Brunettis schlank. Und ich weiss aus bitterer Erfahrung, das man das nicht lange bleibt, wenn man ZWEIMAL täglich einen Dreigänger reinhaut. Plus Wein, der bei den Brunettis zu jeder Mahlzeit auf dem Tisch steht.
Eine weitere mögliche Erklärung für Paolas Kochwut: sie säuft. Stimmt meine Annahme, hat sie deswegen öfters eine Matschbirne und tut, was ich tue, wenn ich mal einen Kater habe: Ich koche. Und zwar reichlich. Wandert alles in den Tiefkühler für hektische Zeiten und kantinenlose Sonntagsdienste.
Alkohol am Mittag? Oh my God!
Ist es eigentlich justiziabel, eine Romanfigur zu verunglimpfen? Ich nehme das Risiko auf mich und habe die Schrift auf meiner Seite. In jedem der bisher sage und schreibe 26 Brunetti-Krimis genehmigen sich die Eheleute zu jedem Essen ein Glas Wein plus einen Grappa. Zu jedem! Auch am Mittag! Traut sich ja heute keiner mehr, dabei galt das noch vor zwanzig Jahren als kulturelle Handlung. Und wieso 26 Krimis? Ich hab nur 25 gelesen.
Ein neuer ward der Welt geschenkt, juhu! Grad lesen. Heisst «Stille Wasser». Stille Wasser? Bitte. Das ist der Gipfel des Hohns! Weder stilles noch Blöterliwasser kippen die literweise, sondern Wein in allen Farben, so sieht das aus. Wenn ich diese Krimis lese muss ich auch immer ein Glas Weisswein einschenken. Die annimieren einem. Die Brunettis sind schuld, wenn ich dereinst dem Altersalkoholismus verfalle.
Anyway, oder einwäg, wie das früher hiess. Aus den Katervorräten im Tiefkühler lassen sich locker in 15 Minuten präsentable Dreigänger kreieren. Nicht? Doch. Guck mal, so:
Primo
Ravioli oder Halbmonde mit Zitronenfüllung (gekauft, einen derart grossen Kater hatte ich noch nie, dass ich die selbermachen würde.) mit Artischocken und Crevetten.
Rezept
Artischocken aus dem Glas in einem Sieb abtropfen, Crevetten auftauen oder aus dem Glas/Becher ebenfalls im Sieb abtropfen, aber erst nach den Artischocken. In einer Teflonpfanne etwas Olivenöl und Butter warm werden lassen, einen Knoblizinken hinein und den bei kleiner Hitze anziehen lassen. Artischocken etwas zerkleinern und ins Öl. Mit einem guten Schuss Noilly Prat oder Weisswein ablöschen. Crevetten dazu, ev. ein Spritzer Limettensaft (falls Limetten da sind weil du Mojito gebastelt hast) Salz und Pfeffer rein, Knoblizinken raus. Ravioli tiefgekühlt ins siedende Salzwasser, al dente kochen (dauert 2-3 Minuten) und mit Sauce mischen. Fertig.
Secondo
Saftplätzli aus dem Tiefkühler in einer Pfanne mit Deckel langsam erhitzen. Dazu grüner Salat und ein Frischback-Baguette.
Rezept
Saftplätzli (das sind Scheiben von Rindsbraten oder Siedfleisch, die ewig brauchen, um weich zu werden) mit Senf bestreichen, salzen, pfeffern, lagenweise mit gehackten Zwiebeln und Peterli sowie, wenn man mag, Rüebli oder so, in eine feste Form schichten. Ja, alles roh. Ein Glas Wein (Farbe egal) drübergiessen, Deckel drauf und ein, zwei Stunden auf kleiner Flamme köcheln. Auskühlen lassen, ab in den Tiefkühler. Oder essen.
Dessert
Doppelrahm mit viel Cacaopulver und Zucker verrühren, bis sich der Zucker aufgelöst hat. Fertig.
So macht das Paola Brunetti, wetten? Oder ihre rumänische Zugehfrau, deren Existenz uns Frau Leon ebenfalls vorenthält.
Ich weiss übrigens, wo die Brunettis wohnen. Also die im Fernsehen, die diese grossartige Terrasse haben, auf der sie ihr Familienleben zelebrieren. Känsch, oder?
Man sieht zwar den Canal Grande im Hintergrund (es heisst übrigens wirklich Canal und nicht Canale und ja ich weiss, ich bin ein Klugscheisser), aber die Terrasse liegt nicht direkt daran, sondern in einem Seitenarm. Man sieht das Haus, bzw. die Terrasse, wenn man mit dem Vaporetto vom Markusplatz rauf Richtung Rialtobrücke fährt. Es ist auf der linken Seite zwischen den Stationen San Toma und San Silvestro auf der linken Seite, grad gegenüber der Station Sant Angelo (die ist auf der rechten Seite).
Hier ist das Haus mit der Terrasse im Original:
Das Foto wurde, so vermute ich, an der Vaporetto-Station Sant Angelo aufgenommen. Das Haus der Film-Brunettis gehört, wenn ich das richtig sehe, zum Komplex der Universität Ca’Foscari und ist somit nicht öffentlich zugänglich. Der rote Kasten mit der grandiosen Terrasse mit der weissen Balustrade links im Bild ist übrigens das Hotel Palazzo Barbarigo. Viereinhalb Sterne, 390 Franken die Nacht.
Das muss sein
Dort kann man übernachten. Man sollte unbedingt in Venedig übernachten. Ein Tagesausflug bringt es überhaupt nicht, nur Gedränge überall. Am frühen Morgen, nach dem Eindämmern und vor allem Nachts entfaltet die – praktisch leere – Serenissima einen unglaublichen Zauber. Den sollte man sich nicht entgehen lassen. Es muss ja nicht grad das Barbarigo sein, es gibt in Venedig günstige Unterkünfte, wirklich. Wenn einem das reut, kann man sich die Reise eigentlich gleich sparen.
Song zum Thema: